Unsere ergötzliche Geschichte der ‚Weiber von Schorndorf’, wie der Volksmund sie nennt, die so glücklich ausging, obwohl sie übel hätte ablaufen können, ist auch als Stoff ein Glücksfall. Sie hat zunächst den Vorzug, daß sie ‚wahr’ ist, sonst hätte der Zuschauer Mühe, sie dem Verfasser zu glauben. So aber darf er sie, bei aller Heiterkeit, ernst nehmen. Denn im Grund war es eine ernste, fast verzweifelte Sache, als im Jahr des Unheils 1688 der General des französischen Königs Ludwig XIV., der Mordbrenner Mélac, für den wir unsere heutigen französischen Freunde gewiß nicht verantwortlich machen, raubgierig vor die Tore der Festung Schorndorf gezogen kam und deren Übergabe verlangte. Im Fall des Widerstands, so drohte er, würde er nicht nur das Städtchen, sondern auch die Landeshauptstadt verbrennen. Guter Rat war teuer. Der Herzog des Landes war erst zwölf Jahre alt, sein Vormund schickte wohl in die Festung einen Kommandanten mit dem Befehl, sie zu halten, ging aber selbst außer Landes. Die hinterbliebene Landesregierung tat das Gegenteil, sie sandte zwei Hofräte mit dem Befehl der Übergabe. Der Kommandant lehnte ab und stand so mit der Stadt unter schwersten Drohungen von mehreren Seiten. Was sollten Bürgermeister und Stadträte tun? An ihnen ging es hinaus.
Da haben die Frauen es in die Hand genommen. Sie bewaffneten sich, wie’s eben ging, hielten die Stuttgarter Räte und die Stadtväter im Rathaus blockiert und nahmen dadurch ihren Männern, ob sie im Rathaus saßen oder auf den Wällen standen, die Verantwortung ab. Der Kommandant hielt mit seiner Mannschaft die Verteidigung aufrecht. Sie war leicht, weil Mélac keine Geschütze hatte und nur mit Worten knallte. Bald zogen die Franzosen vor Schorndorf und vor der Landeshauptstadt ab. Das Land war frei, ohne Blutvergießen.
Das Ganze war eine Tat weiblichen Instinkts gewesen, der in der Not nicht nach Vorschriften fragt, sondern tut, was er nicht lassen kann. Zugleich ein genialer Schachzug, der nicht nur die Stadt vor Brand und Plünderung, sondern auch die Männer vor Strafe rettete. So erlebt der Zuschauer neben vielem Spaßhaften und einigem Ernsthaften noch das uralte Gegenspiel von männlichem und weiblichem Handeln. Unheil wird vermieden durch Vertauschen der männlichen und weiblichen Rolle.
Daß der Verfasser der tollen Geschichte noch einen ausgelassenen Schluß anhängt, der die allzu mächtig gewordenen Damen wieder in ihren Alltag zurückleitet, wird man ihm vielleicht auch weiblicherseits nicht verdenken. Denn nicht wahr, verehrte Frauen, auf die Dauer spielt Ihr Eure weibliche Rolle doch besser? Wo gibt es einen besseren Komödienstoff? Er ist nicht ohne Klippen. Über den heutigen Krieg denken wir anders: er kann infolge des Übermaßes an Zerstörungsmitteln nicht mehr in Grenzen gehalten werden. Selbst das Recht der Notwehr muß heute neu durchdacht, neu geregelt werden, wenn die Menschheit nicht untergehen soll.
Wir verlangen natürlich von einer heiteren Geschichte aus der ‚guten’ alten Zeit nicht, daß sie diese neuesten Probleme löst oder auch nur debattiert. Aber wir erleben an ihr viele gute Geister: Herzhaftigkeit, Heimatliebe, Güte, Zusammenhalt und — Humor. So ist die beherzte Tat der Schorndorfer Frauen über Schwaben hinaus ein Ruhmesblatt unseres Volkes geworden. Ob die Menschheit einen Weg findet, der wie einst von der Menschenfresserei, so jetzt vom Völkermorden wegführt? Vielleicht wenn die Frauen es wieder in die Hand nähmen … ?
Paul Wanner